Muttersein und freier Journalismus. Vom Management am Rande des nackten Wahnsinns

Eine kleine Aufzugsfahrt mit Heidi List, zweifache Mutter und freie Autorin.


Heidi List, ©Ingo Pertramer
CK: Muttersein und freier Journalismus – wie nackt ist der Wahnsinn wirklich und welche Rolle spielt das eigene Netzwerk und Freundschaften dabei?

Heidi List: Doch, manchmal ist der schon nackt, der Wahnsinn. Ich muss vorausschicken, ich bin mehr Autorin als Journalistin. Ich sitze nicht wochenlang investigativ in einer Redaktion und decke Papers über Geldhaie auf. Oder ich schreibe keine klugen, politischen Texte ganz ohne Kraftausdrücke, so wie etwa Anneliese Rohrer. Ich bin zu einer völlig ungefärbten und durchdachten Analyse nur mit einem enormen Kraft- und Zeitaufwand fähig. Hier spielt - für mich - das Muttersein schon eine Rolle. Der Alltag mit Kindern strukturiert sich nämlich in Bits und Pieces. Die Zeiten der tagelangen intellektuellen Katharsis ohne Unterbrechung, die ich bräuchte, um ein weltbewegendes Werk entstehen zu lassen, sind im Augenblick auf Eis. Das kommt wieder, wenn daheim alle alleine aufs Klo gehen oder sich gar eine Mahlzeit zubereiten können. In der Zwischenzeit gilt meine grenzenlose Bewunderung allen Kolleginnen, die das drauf haben.


Aber ich kann beobachten, mit einem gewissen Sinn für Stimmungen im Alltag, die dann wieder durchaus politisch gefärbt sein können, Stichwort Flüchtlinge, Stichwort Integration, Stichwort Echokammer der Ideologien. Das arbeite ich in Texte ein, sei es als Kolumne, Portrait oder Aufsatz über ein lebensnahes Thema, bis hin zur Drehbucharbeit. Dazu kommt die – auch für mich selbst nicht unanstrengende – Eigenschaft, das Leben ein wenig comichaft wahrzunehmen. Da trifft es sich dann ganz gut, wenn man schreiben kann, um das irgendwohin zu kanalisieren. Und dann gibt es noch die Arbeit des knochentrockenen Aufbereitens von Informationstexten. Mag ich auch, ist sehr meditativ. Ich weiß alles über Lebensmittelverschwendung, alte Stickmuster im deutschsprachigen Raum und Zahnimplantate. Falls wer dazu Fragen hat.

Für ein Leben mit Kindern, wo der zugehörige Vater noch dazu einer Abendtätigkeit nachgeht, ist der Beruf, so wie ich ihn gestalte, perfekt. Der Wahnsinn aber liegt in genau diesem Vorteil der Flexibilität in allen Richtungen (Ort, Zeit, Umfang der Arbeit). Es ist eine tägliche Disziplinübung. Es gibt keine Anstellung, keine Sicherheit, keine bezahlten Krankenstände, keine Urlaubszahlungen. Freiberuflich heißt eigenes Risiko, wenn man ausfällt, wird es kritisch. Wenn da drei, vier Projekte auf einmal platzen, ist man des nächtens schon einmal am Grübeln. Okay, dafür kann man die Texte nackt im Bett schreiben. Aber man tut das dann eigentlich gar nicht so oft. In dem Moment, der immer wieder kommt, wo man darüber nachdenkt, doch wieder angestellt arbeiten zu gehen, flattert meist dann doch ein Auftrag daher, der die nächsten Wochen wieder sichert. Aber wir reden von Wochen. Mein langfristig angepeiltes Anwesen in St. Agnes in Cornwall/England, für den Lebensabend, ist bereits umgewandelt in einen Vermerk auf meiner ToDo-Liste, mir irgendwann einmal halt wenigstens ein Poster von der Cornwallküste zu besorgen.

Über die Frage des Netzwerkes musste ich jetzt länger nachdenken. Ich glaube, ich habe überhaupt noch keinen einzigen Schreibauftrag bekommen, ohne irgendeine Form der privaten Verbindung mit dem oder der AuftraggeberIn im Vorfeld. Und sei es nur über eine Facebook – Freundschaft. In meinem Fall liegt das vermutlich an dem Übergang der Schreiberei vom Hobby neben meinen hauptberuflichen Tätigkeiten im Marketingbereich zum ausschließlichen Broterwerb im Augenblick. Dies hat sich so ergeben, relativ überraschend. Noch habe ich mich nicht durchgerungen, in der 5 -Jahres - Schritte - Denke, die man empfohlen kriegt, diesen Autorenstatus endgültig als Nummer 1  - Beruf zu akzeptieren. Das macht mein jahrzehntelanger Brainwash der gut vergüteten Anstellungen in internationalen Konzernen oder großen Medienunternehmen. Die Bezahlung der Arbeit als freiberufliche Autorin ist tatsächlich manchmal, je nach Auftraggeber, in einer bedenklichen Relation zu dem Aufwand und der Denkarbeit, die man leistet. Tatsächlich war und ist dieses persönliche Netzwerk aus so vielen unterschiedlichen Quellen (Freundschaften, Soziale Medien, Kontakte aus früheren Projekten) die einzige Buschtrommel für meine jetzige Tätigkeit. Ich habe auch keine Visitenkarte oder gar eine repräsentative und professionelle Website mit einer Leistungsschau und den Referenzen, die mittlerweile schon beachtlich sind. Was mich zu einem weiteren dringenden ToDo bringt...



PS: Sie können die nächtlichen Grübeleien von Frau List schlagartig beeinflussen, indem Sie ihr einen Poster von Cornwall zuschicken oder sie knallhart mit dem Schreiben Ihrer Texte beauftragen. Kontakt und Anfragen gerne hier.